Charakteristisch am Altersaufbau der Population von L. mutabilis ist folgendes: Einerseits gibt es Stadien, die über einen langen Zeitraum (v. a. während des Winters) zusammen vorkommen, wobei sich allmählich die Häutung zur älteren Entwicklungsstufe vollzieht (L4 + PL1, PL3 + PL4, PL6-PL9). Andererseits lassen sich "Übergangsstadien" ausmachen, die von einem ganzen Jahrgang relativ synchron und rasch im Sommer durchlaufen werden (PL2 und PL5 bei L. mutabilis, PL1 bei L. curtipes). Eine schnelle Entwicklung der Lithobiiden im Sommer ist wegen der Temperaturabhängigkeit des Häutungszyklus (SCHEFFEL 1977, ALBERT im Druck b) zu erwarten. Die Gleichzeitigkeit, mit der die Übergangsstadien durchlaufen werden (und die sich auch beim Sammeln im Juli in der großen Zahl unausgefärbter Tiere zeigt), folgt jedoch nicht unmittelbar aus dem Zusammenhang zwischen Umgebungstemperatur und Stoffwechselgeschwindigkeit.
Was ergibt sich aus diesem Altersaufbau für die ökologische Sonderung der Lithobiiden-Community?
HUTCHINSON (1959) wies darauf hin, dass koexistierende Arten mit gleichen ökologischen Ansprüchen sich in der Regel um den Faktor 1,28 in der Größe ihrer Strukturen zur Nahrungsaufnahme unterscheiden. MAIORANA (1978 a) diskutiert diese "Hutchinson-Konstante" im Zusammenhang mit der Ressourcennutzung und morphologischen Variabilität der Arten und kommt zu dem Ergebnis, dass für koexistierende Arten (und vielleicht Altersklassen einer Art) eine maximale Überlappung von 0 bis 5% bei linearer Messung eines Merkmals möglich ist.
Die Weite der Bezahnung auf der Syncoxa der Kieferfüße (= "Prosternumweite", abgekürzt PW) stellt ein leicht zu bestimmendes Maß für die Größe einer Ernährungsstruktur der Lithobiiden dar (Abb. 22). Die Zähne auf dem Prosternum dienen zusammen mit den Kieferfüßen dem Festhalten der Beute während des Fressvorganges (MANTON 1965).
Ich bestimmte die Prosternumweiten aller Lithobiiden in den Streuproben der Monate Juli und August sowie November und Dezember des Jahres 1980. Das Ergebnis ist in Abb. 23 und 24 dargestellt. Es zeigen sich vier gut getrennte Größenklassen. Das unterste Ende der Skala nimmt der erste Jahrgang von L. (M.) curtipes ein; es folgt der erste Jahrgang von L. mutabilis und der 2. Jahrgang_von. L. mutabilis. Das obere Ende der Skala wird von den adulten L. mutabilis besetzt, deren Prosternumweiten kontinuierlich über das ganze Spektrum verteilt sind.
Ein für die Koexistenz der Arten bedeutsamer Größenunterschied liegt nur für den 1. Jahrgang von L. curtipes vor.
Mit dem Differenzfaktor 1,6 - 1,7 ist der Unterschied in der PW größer als nach der Hutchinson-Konstanten (1,28) zu erwarten. Nach MAIORANA (1978) müßte damit die morphologische Variabilität der Prosternumweite groß sein. Tatsächlich ist der Variationskoeffizient aber sehr klein (unter 1,5 %). Lithobiiden reagieren jedoch auf ein weites Größenspektrum von Beutetieren mit Fangverhalten (SIMON 1960, 1964, ALBERT im Druck a), so dass in diesem Fall das Verhalten (Weite des Beutespektrums) für die größere Merkmalstrennung verantwortlich sein kann.
Die PW-Größenunterschiede zwischen den ersten drei Jahrgangsklassen von L. mutabilis entsprechen formal der Größenstreuung koexistierender Arten mit ähnlichen ökologischen Ansprüchen. Die sich daraus ergebende Frage, ob die Jahrgangsklassen als "ökologische Arten" (ENDERS 1976) aufzufassen sind, wird in der Schlussdiskussion behandelt.
Altersstruktur und Größenverteilung der Altersklassen
1.) Die Entwicklungsstadien PL2 und PL5 von Lithobius mutabilis werden relativ synchron durchlaufen und haben eine besonders kurze Dauer.
2.) Daraus resultiert eine charakteristische Struktur der Lithobius-Population mit vier getrennten Größenklassen (gemessen an der Bezahnung der Kieferfuß-Syncoxa als Ernährungsstruktur), die sich um den Faktor 1,5 unterscheiden.
3.) Im ersten Jahrgang sind die dominanten Lithobius curtipes und L. mutabilis in ihrer Prosternumweite besonders verschieden. Der Differenzfaktor beträgt 1,6 - 1,7.
Hinweis: Tabellen und Abbildungen können mit [Mausklick rechts -> Link in neuem Fenster öffnen] so aufgerufen werden, dass sie parallel zum Text geöffnet bleiben