Ergänzende Beobachtungen

Im Oktober 1973 legte ich in der Sandhausener Düne einen Honigköder aus (einen Honigtropfen auf einem Glasplättchen). Dieser Köder wurde von einer Formica rufibarbis - Arbeiterin bemerkt, die davon fraß. Das Tier wurde durch einen Farbfleck auf dem Gaster markiert. Im weiteren Verlauf des Tages kam das selbe Tier ungefähr im Abstand von einer halben bis einer ganzen Stunde mehrmals an die Futterstelle zurück und hielt sich dort ca. 15 Min auf. Es wurde aber kein anderes Tier des selben, ca. 1,70 m entfernten Nestes an dem Honigtropfen beobachtet. Eine Formica rufibarbis -Arbeiterin von einem anderen Nest, die ebenfalls öfter den Honigtropfen aufsuchte, wurde sogar am nächsten Tag am Köder gesehen; aber auch von diesem Nest wurden keine anderen Tiere am Honig beobachtet.

Im Labor wurde während der ersten Zeit eines Versuchs mit Formica rufibarbis (6./ 7.2.) ebenfalls beobachtet: Um 16.50 Uhr wurde Honigwasserlösung in die Futterarena gegeben, in der Hauptarena befanden sich zu dem Zeitpunkt 18 Tiere. Um 16.55 Uhr kam die erste Ameise an das Honigwasser. Um 17.05 Uhr die zweite und um 17.06 die dritte. Um 17.08 Uhr lief die zweite Ameise direkt ins Nest zurück und gab dort den Inhalt ihres Vormagens an eine andere Arbeiterin weiter. Man konnte dabei deutlich sehen, wie der prall gefüllte Gaster der Jagdameise kleiner wurde, während der des anderen Tieres aufquoll. Nach Abgeben des Honigwassers lief das Tier direkt wieder zur Nahrungsquelle zurück, ohne weiteren Kontakt mit anderen Nestgenossen aufzunehmen. In 1 Min., 10 Sek. hatte sie sich am Honigwasser vollgepumpt und war nach 2 Min, 50 Sek. wieder am Nest, wo sich das "Umfüllen" wiederholte, welches in 1 Min. und 30 Sek. vollbracht war. Die Zeitspanne zwischen Ankommen am Honigwasser und dem nächsten Wiedererscheinen betrug 5 Min. und 30 Sek..

Von den drei an der Nahrungsquelle befindlichen Tieren zeigte nur eines dieses ausgeprägte Transportpendeln. Um 18 Ihr pendelten inzwischen mehrere Tiere. Jedes dieser Tiere hatte aber anscheinend seine eigene Route zwischen Nest und Futterarena. Die Pendlerinnen waren deutlich an ihrem schnelleren Lauf zu erkennen. Einige Arbeiterinnen hatten dabei offensichtlich Schwierigkeiten den Eingang zur Futterarena zu finden, und sie liefen eine oder zwei Runden durch die Hauptarena bevor sie den Weg zur Futterarena entdeckt hatten. Diese Beobachtungen legten den Schluß nahe, dass die Arbeiterinnen von Formica rufibarbis sich nicht nach Geruchsspuren orientieren und auch kein anderes Rekrutierungsverhalten besitzen. [...] Bei meinen Beobachtungen von Formica fusca war das Pendeln nicht ganz so deutlich wie bei Formica rufibarbis.

Beobachtungen an Myrmica laevinodis zeigten ein anderes Verhalten: Eine Arbeiterin, die den Honig gefunden hatte, fraß etwas davon, lief dann zurück ins Nest und kam nach kurzer Zeit wieder heraus. Hinter ihr her strömten in aufgeregtem Verhalten 6 - 8 weitere Arbeiterinnen. Diese rekrutierten Tiere liefen auf dem Weg zur Futterstelle, den die vorherige Kundschafterin zurückgelegt hatte. Im Gegensatz zu den Formica - Ameisen fanden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit den Weg zur Futterarena.

Man könnte den für Formica rufibarbis beschriebenen Typ der sozialen Nahrungsbeschaffung als "Pendlertyp" bezeichnen und den"Rekrutierern " gegenüberstellen.

Deutung der Versuchsergebnisse

Die unterschiedlichen Verhaltenstypen der "Pendler" und der "Rekrutierer" zeigen sich in deutlich verschiedenen Reaktionen auf gefundene Nahrungsquellen in den Versuchsergebnissen: Die Zahl der Myrmica - Arbeiterinnen an Futter steigt in den ersten 40 - 60 Minuten steil an, fällt dann aber ziemlich schnell wieder ab. Der Anstieg ist exponentiell, das Abfallen der Zahl in grober Näherung hyperbolisch, Dieser Verlauf der Individuenzahl ist typisch für rekrutierende Ameisen. Bei den Formica - Arten steigt die Zahl der Tiere sehr viel langsamer an. Der Anstieg verläuft außerdem nicht ununterbrochen, sondern in Schwingungen. Das "Pendeln" zeigt sich besonders bei den beiden Formica - Arten in den Versuchen mit Honigwasser. Hier ist ein deutlicher Anstieg der Laufkurve über einer relativ gleich bleibenden Zahl von Tieren in der Arena zu sehen. Mit unverdünntem Honig als Futter ist die Zeit länger, die zum Fressen an der Nahrung verbracht wird. Bei allen vier Versuchen mit den Formica -Arten drückt sich das in dem ersten Absinken der Kurve auf, Null aus. (Nur in den ursprünglichen Diagrammen zu erkennen. In Abb. 2-4 sind über drei Zeitpunkte gleitende Mittelwerte dargestellt.)

Versuch einer ökologischen Interpretation

Der "Pendlertyp" bei der Nahrungsbeschaffung entspricht der von ÖKLAND (1931) und DOBRZANSKA (1958) beschriebenen Aufteilung des Jagdgebietes bei Formica-Ameisen. Diese soziale Differenzierung gewährleistet einen rationellen Einsatz der verfügbaren Kräfte bei reichhaltigen stationären Nahrungsquellen (Aphiden), wie auch bei Absuchen des Jagdgebietes nach kleinen Insekten und deren Larven, die ohne Hilfe zum Nest transportiert werden können. Für diesen Typus müßte ein Selektionsdruck auf Steigerung der individuellen Transportkapazität bestehen. Interessanter Weise zeigen auch gerade die größeren Ameisen das Pendeln und die Aufteilung der Jagdgründe.

Das Rekrutieren ist da von Vorteil, wo es um die schnelle Ausbeutung von Nahrungsquellen geht, die nicht sehr reichhaltig oder schnell vergänglich sind und die Transportkapazität eines einzelnen Tieres übersteigen. Hier kommt es vor allem darauf an, in möglichst kurzer Zeit eine maximale Zahl von Tieren an die gefundene Nahrung zu bringen, um sie vor der Konkurrenz in Besitz zu nehmen. Die nächste Stufe ist dann die Konzentrierung vieler Individuen zur Überwältigung sehr großer Beutetiere. Eine extreme Ausprägung dieser Stufe wird von MASCHWITZ und MÜHLENBERG (1973) von Leptogenys ocellifera, einer Ponerine, geschildert. Die Nahrung dieser Art besteht zu großen Teilen aus Regenwürmern. Die Voraussetzung für das Überwältigen dieser Beute ist eine schnelle Rekrutierung zahlreicher Arbeiterinnen, um überhaupt ein Beutetier überwältigen zu können. Bei Leptogenys ocellifera läuft die rekrutierende Arbeiterin nicht mehr ins Nest, sondern führt die alarmierten Tiere sofort von der Straße zu dem Regenwurm, der erst dann das erste Mal angegriffen wird.

DOBRZANSKA,T. (1958): Partition of foraging gounds and modes of conveyings of information among ants. Acta Biologiae Experimentalıs 18: 55-67.
MASCHWITZ,U. und M.MÜHLENBERG (1973): Leptogenys ocellifera (Formicidae). Verhalten auf Dauerspuren und Beuteeintragen (Freilandaufnahmen). Encyclopaedia Cinematographica, Göttingen 1973 Angaben zum Film E 1935.
ÖKLAND,F.(1931): Studien über die Arbeitsteilung und die Teilung des Arbeitsgebietes bei der Roten Waldameise. Z.f. Morph.u. Ökol.der Tiere 20: 63-131.

Zurück zu den Ergebnissen


Zurück zu "Biologengeschichten"
Zurück zu "Brigitte und HC"


.